Der Roman ist eine pessimistische Zukunftsvision einer islamistischen Glaubensdiktatur, mit Anspielung auf Orwells "1984".
Gewagte und provokative Thesen, düstere Visionen. Wahrscheinlich werden einige gleich wieder aufheulen, auf AfD und Pegida verweisen ... aber man könnte auch sachlich darüber diskutieren. Der Mann ist nicht Pegidist, sondern Algerier, kennt sich in Frankreich gut aus und ist letztlich auch kein Blödmann.Welt am Sonntag: Wie liest ein Muslim dieses Buch?
Sansal: Ein Muslim wie ich, der nicht gläubig, aber in einem muslimischen Land aufgewachsen ist, liest es vermutlich wie Sie und ich. Sie täuschen sich im Westen, wenn Sie glauben, die Muslime seien alle Islamisten. Sie haben mehr Angst vorm Islamismus als die Menschen im Westen.
Welt am Sonntag: Seit den Attentaten in Paris und Brüssel fürchtet sich der Westen auch.
Sansal: Sicher. Das war ja nur der Anfang.
Welt am Sonntag: Eine Art Weckruf?
Sansal: Ja. Nach dem Attentat auf "Charlie Hebdo" war das anders. Die Mehrheit konnte Verständnis dafür aufbringen. Die hatten ja schließlich Gotteslästerung betrieben. Sie sagten, es sei nicht rechtens zu töten, aber schaut, was die gemacht haben...
Welt am Sonntag: Sie haben es provoziert wie das Mädchen im kurzen Rock seine Vergewaltigung?
Sansal: Ja, und wegen dieser Logik haben die Attentate im Januar die Menschen nicht wachgerüttelt. Das Bataclan hingegen war eine islamistische Attacke, weil man den anderen angegriffen hat für das, was er war, für seine Kultur, für seinen Lebensstil. Das war ein Ort für junge Leute, wie die Bars, das Stadion, Orte, die den Westen ausmachen. Aber diesen Prozess der Bewusstmachung wollen die Islamisten ja gerade provozieren. Sie wissen, dass sie den Westen militärisch nicht besiegen können. Sie können nicht mal die schwachen arabischen Staaten besiegen. Also müssen sie den Westen dazu bringen, sich selbst zu zerstören. Sie wollen die Gesellschaft spalten, und sie wissen: Wenn ihnen das gelingt, fällt sie ganz von allein in sich zusammen.
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Welt am Sonntag: Wir haben eine Million vorwiegend muslimische Flüchtlinge aufgenommen. Wie ist Ihre Prognose für Deutschland?
Sansal: Deutschland war komplett naiv. Und langfristig ist Deutschland das Land, das am meisten bedroht ist.
Welt am Sonntag: Inwiefern naiv?
Sansal: Weil sich Deutschland lange Zeit eingebildet hat, von den Problemen nicht betroffen zu sein. Der Islam, der war in Frankreich, in Großbritannien, aber bei uns doch nicht! Und dann ist Deutschland aufgrund der Kriegserfahrung eine extrem tolerante Gesellschaft. Das wird ausgenutzt. Als die algerischen Islamisten verjagt wurden, haben sie in Deutschland Unterschlupf gefunden, da wurden sie als politische Flüchtlinge anerkannt.
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Welt am Sonntag: In der Türkei erleben wir mit Erdogan gerade die Islamisierung der Gesellschaft. Wie sehen Sie die Entwicklung?
Sansal: Die Rückkehr des Religiösen, vor allem bei den jungen Leuten, kontaminiert die ganze Gesellschaft – und das wird bald auch in Deutschland zu spüren sein.
Welt am Sonntag: Wir haben diese Einmischung und, wenn man so will, Kontaminierung gerade mit der Böhmermann-Affäre erlebt.
Sansal: Erdogan benimmt sich wie ein Kalif, die Türken verhalten sich wie Untertanen, und einen Palast hat er sich auch schon gebaut. Das Osmanische Reich war zweifellos das gewalttätigste Kalifat der islamischen Welt. Derzeit erleben wir eine Rückkehr dieser Gewalt. Erdogan will das Kalifat wieder aufbauen, aber er weiß, dass die Araber dies niemals akzeptieren würden. Vielleicht stellt er sich vor, sein Reich nach Europa auszudehnen. Aus diesem Grund ist Deutschland am meisten bedroht.
Welt am Sonntag: Sie meinen wegen der Türken oder wegen der Flüchtlinge?
Sansal: Weder noch. Weil alle Europäer Ressentiments gegen Deutschland hegen. Deutschland ist reich, einflussreich, außerordentlich gut organisiert. Die Leute träumen von nichts anderem als dem Absturz Deutschlands. Ein Albtraum ergänzt den anderen. Und Erdogans Albträume teilen in Wahrheit viele Europäer.
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Welt am Sonntag: Können Sie in Europa noch sagen, was Sie denken?
Sansal: Nein. Das ist vorbei. Auf der einen Seite lädt man mich ein, weil man das Bedürfnis hat, auch andere Meinungen zu hören, die nicht politisch korrekt sind. Gleichzeitig hat man Angst, dass ich Ärger mache.
Welt am Sonntag: Was dürfen Sie nicht sagen?
Sansal: Das sagt Ihnen keiner, das ist viel subtiler. Aber alles, was den Islam kritisiert, macht Probleme. Als ob man heute alles kritisieren darf, sogar Gott, aber nicht den Islam.
Welt am Sonntag: Sind Sie islamophob, Monsieur Sansal?
Sansal: Nicht in dem Sinne, wie das Wort gebraucht wird. Ich mag den Islam nicht, ich glaube nicht daran, und ich stelle fest, dass er nicht nur eine Gefahr, sondern eine enorme Gefahr ist. Er wird unsere Gesellschaft aufsprengen.
Welt am Sonntag: Ihr Kollege Kamel Daoud hat für große Aufregung gesorgt, weil er die jungen Muslime, die in der Silvesternacht in Köln Frauen angegriffen haben, als sexuell unterdrückt beschrieben hat. Stimmen Sie ihm zu?
Sansal: Daoud lebt in Algerien und erlebt solche Situationen täglich. Es ist eine Gesellschaft der Frustrationen, nicht nur der sexuellen. Ein junger Muslim, der plötzlich mit einer freien Gesellschaft konfrontiert ist, interpretiert eine Frau, die ihren Körper zeigt, falsch.
Welt am Sonntag: Fehlen uns die Überzeugung und der Mut, unsere Werte zu verteidigen?
Sansal: Die Islamisten kämpfen sehr mutig für das, woran sie glauben. Allein das muss man ihnen zugutehalten. Was uns betrifft, muss ich leider sagen: Es gibt nichts, was uns antreibt. Für das Wort Freiheit wären wir früher ans andere Ende der Welt gegangen. Heute ist es hohl.