Richter mit Kopftuch - der altbekannte Streit um die Religionsfreiheit

Alle News & Infos aus ganz Deutschland
Antworten
Auri

Richter mit Kopftuch - der altbekannte Streit um die Religionsfreiheit

#1

Beitrag von Auri » Mi 29. Jun 2016, 08:57

Interessanter Fall.
Eigentlich sollte seit dem Spruch des Bundesverfassungsgerichts die Sache klar sein.
Aber halt nicht in Bayern.
Kann man einer vorbildlichen Juristin mit ausgezeichneten fachlichen Leistungen den Staatsdienst verweigern wegen eines religiösen Kleidungsstücks?
Und das noch nicht mal aufgrund eines Gesetzes?

Morgen ist in Augsburg Prozesstermin.

Aus der SZ:
Heute, 2016, sitzt Aqilah Sandhu, 25, in einem Café in ihrer Heimatstadt Augsburg. Sie schwäbelt, wenn sie spricht, rollt das "R" im Wort "Religion". Christentum, Islam, ihre Familie vereint beide Welten. Ihr Vater stammt aus Pakistan. Die Eltern ihrer deutschen Mutter waren katholische Oberstudienräte, ihr Großonkel Pfarrer, ihre Großtante Nonne. Ausgerechnet sie werde nun auf ihr Kopftuch reduziert, sagt Sandhu.

In Deutschland gibt es kein Gesetz, das Rechtsreferendaren oder Berufsrichterinnen ein Kopftuch verbietet. "Das Thema ist ein Politikum, das Oberlandesgericht nutzt seine Machtfülle gegen die Referendarin aus", sagt Johann Bader, Vorsitzender Richter des Verwaltungsgerichts Stuttgart. Er hat sich in mehreren wissenschaftlichen Aufsätzen mit dem Thema Kopftuch und Staatsdienst beschäftigt. "Wenn sich niemand wehrt, wird immer Unrecht geschehen."
...............
Der frühere Bundesverfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde sieht das ähnlich. Das Bundesverfassungsgericht habe sich 2015 klar gegen ein generelles Kopftuchverbot im Staatsdienst ausgesprochen. "Nur bei konkreter Gefährdung darf die Bekenntnisfreiheit eingeschränkt werden", sagt Böckenförde. Eine abstrakte Gefahr - die Beeinträchtigung der Neutralität etwa - sieht er nicht.
.....................
Sandhu wehrt sich. Mit 24 Jahren beschließt sie, den Freistaat Bayern zu verklagen. Denn das deutsche Rechtssystem, das findet sie einmalig. "Es gibt wenige Länder, die ein so geniales Recht haben wie wir in Deutschland." Sie spricht von einem "ausdifferenzierten Rechtsschutzsystem", einer "partizipativen Demokratie".

Sie identifiziert sich mit den Gesetzen, den Grundrechten. Gerade deshalb kann sie die Mail des Oberlandesgerichts nicht akzeptieren. Es geht ihr ums Prinzip, um Rechtsstaatlichkeit, um Gleichberechtigung. Sie möchte einen gerechten und gleichen Zugang zur staatlichen Ausbildung, wie alle anderen.

weiterlesen:
http://www.sueddeutsche.de/bayern/strei ... -1.3053274



Benutzeravatar
Nathan
Beiträge: 3954
Registriert: Di 10. Nov 2015, 20:11
Wohnort: München

Re: Richter mit Kopftuch - der altbekannte Streit um die Religionsfreiheit

#2

Beitrag von Nathan » Mi 29. Jun 2016, 12:46

Mei, das muss halt so kommen wenn zwei Sturköpfe aneinandergeraten, eine Bürgerin und ein Staat.

Wir müssten hier ganz tief einsteigen und z.B. über Sinn und Unsinn von Amtskleidung sprechen. Warum haben Richter heute noch "Roben" und trugen früher sogar Perücken? "Es hat einen Grund, dieses Amt feierlich auszugestalten", könnte man argumentieren. "Weg mit dem sinnfreien Mummenschanz!" könnte man auch fordern.

So selbstverständlich ich es finde, mit einem Kopftuch studieren zu dürfen so ungeschickt fände ich es, als Richterin an deutschen Gerichten mit einem Kopftuch zu erscheinen. Wer zur Mannschaft gehören will, muss das Spiel mitspielen. Sie wird hoffentlich auch nicht mit Stöckelschuhen in den Kuhstall gehen.
Der größte geistige Freiraum ist der Raum zwischen den Stühlen

Auri

Re: Richter mit Kopftuch - der altbekannte Streit um die Religionsfreiheit

#3

Beitrag von Auri » Do 30. Jun 2016, 14:14

Wie könnte es auch anders sein, das Verwaltungsgericht Augsburg hat heute das Kopftuchverbot im Gerichtssahl aufgrund fehlender Gesetzesgrundlage einkassiert.
Das ist zwar erstinstanzlich aber nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerrichts auch kaum anzufechten.
Kalter Kaffee der nur vor dem Hintergrund bemerkenswert ist, dass trotzdem ein OLG sich entgegen Karlsruhe auf eine überholte Verordnung bezieht.

Interessant wäre es lediglich wenn es dafür ein Gesetz gäbe.
Das ist nach den Auflagen kaum verfassungskonform formulierbar.
Also entspannen, die Religionsfreiheit ist etwas positives die auch für Beamte und die Justiz gelten.

Das Münchner Oberlandesgericht hatte sich bei der Auflage an einer Verordnung des Bayerischen Justizministeriums von 2008 orientiert, wonach Referendarinnen beispielsweise im Gerichtssaal oder bei Zeugenvernehmungen auf ihr Kopftuch verzichten müssen.
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitges ... nnen-islam

forest

Re: Richter mit Kopftuch - der altbekannte Streit um die Religionsfreiheit

#4

Beitrag von forest » Fr 1. Jul 2016, 11:08

Auri » 30 Jun 2016, 14:14 hat geschrieben:Wie könnte es auch anders sein, das Verwaltungsgericht Augsburg hat heute das Kopftuchverbot im Gerichtssahl aufgrund fehlender Gesetzesgrundlage einkassiert.
Das ist zwar erstinstanzlich aber nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerrichts auch kaum anzufechten.
Kalter Kaffee der nur vor dem Hintergrund bemerkenswert ist, dass trotzdem ein OLG sich entgegen Karlsruhe auf eine überholte Verordnung bezieht.

Interessant wäre es lediglich wenn es dafür ein Gesetz gäbe.
Das ist nach den Auflagen kaum verfassungskonform formulierbar.
Also entspannen, die Religionsfreiheit ist etwas positives die auch für Beamte und die Justiz gelten.

Das Münchner Oberlandesgericht hatte sich bei der Auflage an einer Verordnung des Bayerischen Justizministeriums von 2008 orientiert, wonach Referendarinnen beispielsweise im Gerichtssaal oder bei Zeugenvernehmungen auf ihr Kopftuch verzichten müssen.
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitges ... nnen-islam
Ha, ha! Langsam mit der Marie!

Auch wenn es kein Gesetz zur Kleiderordunung von Justizpersonal gibt oder gerade deswegen (!!!), ist es der Justizverwaltung unbenommen, Kleidervorschriften zu erlassen. Es spricht einiges dafür, nein, es ist sogar kraft Amtes unerläßlich, das Personal so neutral auftreten zu lassen, wie es geht. Genau das ist doch das Prinzip unseres Rechtswesens kraft GG, ohne Ansehen der Person, ihrer Religion, Hautfarbe etc. das Recht auszuüben, sprich, zu sprechen. Da hat kein Kopftuch etwas verloren, auch nicht andere Mätzchen, als da wären:
216-07-01-helm.jpg
Alle Bilder aus wikipedia

Der rechtskundigen Klägerin ist wie jedem anderen der Klageweg offen und sie hat ihn beschritten, würdig und recht (sic!). Der Amtsrichter hat sich die Sache leicht gemacht und lediglich festgestellt, daß kein Gesetz im konkreten Fall das Tragen eines Kopftuchs verbietet verböte. Die Urteilsbegründung liegt (mir) nicht vor. Auf die Befugnis des Erlassens einer Kleiderordnung durch den Arbeitgeber - unmittelbar die Justizverwaltung, mittelbar letztlich der Staat, also wir alle - ging er nicht ein.
Ein bisschen dürftig, würde ich sagen. Klageantrag hier, Urteil oder Beschluß da, fertig. Das mag korrekt sein; es ist aber unvollkommen. Der Richter behilft sich damit, die nächste Instanz bemüßigen zu sollen oder wollen oder es bleiben zu lassen. Im Prinzip richtig, weil die da oben den Kleidererlaß fabriziert haben und dann werden sie schon wissen, ob sie das dürfen.
Die Frage ist, ob man für jeden Muckenschiss ein Gesetz braucht und die zweite Frage ist, ob es der Klägerin nicht zu warm oder eng wird mit dem Kopftuch. Bei der Behandlung von Rechtsfragen sollte man einen freien Kopf haben.
Erfreulich finde ich, daß sie eine bessere Prüfung abgelegt hat als Edmund Stoiber und vor allem, daß das jetzt alle wissen. :D
Du hast keine ausreichende Berechtigung, um die Dateianhänge dieses Beitrags anzusehen.

Benutzeravatar
Nathan
Beiträge: 3954
Registriert: Di 10. Nov 2015, 20:11
Wohnort: München

Re: Richter mit Kopftuch - der altbekannte Streit um die Religionsfreiheit

#5

Beitrag von Nathan » Fr 1. Jul 2016, 11:21

gelegentlich machen mir Ihre Texte richtig Laune :-)

oder isses weils Freitag is..
Der größte geistige Freiraum ist der Raum zwischen den Stühlen

forest

Re: Richter mit Kopftuch - der altbekannte Streit um die Religionsfreiheit

#6

Beitrag von forest » Fr 1. Jul 2016, 14:14

Nathan » 01 Jul 2016, 11:21 hat geschrieben:gelegentlich machen mir Ihre Texte richtig Laune :-)

oder isses weils Freitag is..
Weils Freitag is, Freitag ;)

Der Herr Matthias Drobinski von der SZ findet, Richterinnen mit Kopftuch sind eine notwendige Zumutung
http://www.sueddeutsche.de/bayern/urtei ... -1.3057611

Das finde ich nicht eine notwendige Zumutung. Es ist eine Zumutung, aber keine notwendige. Das Gericht hat so neutral zu sein, wies nur geht.
Beim Kreuz an der Wand wirds schon eng; streng verfassungsmäßig gehörte es weg. Was ich durchgehen ließe, wäre ein staatliches Wappen oder anderes Symbol. Auf einem Bild vom Verhandlungsraum ist ein ziemlich großes bayerisches Wappen, allerdings fein ausgeführt; siehe Link.
Warum?
Weil dieser Staat die Gesetze erlassen hat und nach diesen Gesetzen wird genau hier Recht gesprochen. Logo, oder?
Alles andere sind Fiesimatenten. Nicht fies, aber gerecht. Und darum gehts und um nichts Anderes.
Nichts Anderes! Zefix! :evil:

Benutzeravatar
Nathan
Beiträge: 3954
Registriert: Di 10. Nov 2015, 20:11
Wohnort: München

Re: Richter mit Kopftuch - der altbekannte Streit um die Religionsfreiheit

#7

Beitrag von Nathan » Fr 1. Jul 2016, 14:22

aber...wenn's Frei-Tag ist, warum hock ich dann im Büro und nicht im Media Markt? Ich bin doch nicht etwa blöd?

ich denke die Robe ist ein neutrales Kleidungsstück, was praktisch das Individuum dahinter zu einem anonymen Instrument des Staates machen soll, ganz bewusst möglichst ohne eigene Eigenschaften. Nur das Instrument ist neutral, der Mensch nicht, aber Neutralität ist vor Gericht oberstes Prinzip. Also versucht man, den Menschen möglichst von seinem Amt zu separieren. Eh klar, mehr als ein frommer Wunsch bleibt von diesem Anspruch nicht übrig.
Der größte geistige Freiraum ist der Raum zwischen den Stühlen

forest

Re: Richter mit Kopftuch - der altbekannte Streit um die Religionsfreiheit

#8

Beitrag von forest » Fr 1. Jul 2016, 15:08

Nathan » 01 Jul 2016, 14:22 hat geschrieben:aber...wenn's Frei-Tag ist, warum hock ich dann im Büro und nicht im Media Markt? Ich bin doch nicht etwa blöd?
Weils im Büro schöner ist als im Media Markt. Oder kriegen sie im Büro auch dauernd die Ohren vollgewummert von hipper Verkaufsanmache, allwissenden Fachberatern und -innen, die um die Gänge schleichen und freundlich fragen ob sie helfen können? Alles Schau, sie können nicht helfen, wumm, wumm. Sie, also Sie, sind nicht blöd.
Nathan hat geschrieben:Neutralität ist vor Gericht oberstes Prinzip
Exakt. Bis halt wieder mal eine/r aufsteht und sich auf die Bekenntnisfreiheit beruft.
Profilieren soll sich ein Staatsjurist über solide Arbeit. Alles Andere zählt nicht, also lass'mers weg.
Das muß die junge Juristin noch lernen. Immerhin hat sie sich bereits einen Namen gemacht. Soll sie sich freuen.
Und das OLG kann zeigen, was es drauf hat. Schaumeramol

Auri

Re: Richter mit Kopftuch - der altbekannte Streit um die Religionsfreiheit

#9

Beitrag von Auri » Fr 1. Jul 2016, 16:02

Es fehlt halt nun einmal eine gesetzliche Grundlage für diesen schwerwiegenden Eingriff in die Religionsfreiheit. Da kann die CSU sich auch auf den Kopf stellen.
Statt halt zunächst mal ein Gesetz zu fabrizieren.
Ohne ein solches keine Chance für das Verbot.

Und dann geht's halt weiter, ist ein solcher Eingriff in ein Grundrecht zulässig.
Am Ende wird das wieder Karlsruhe entscheiden. Nach den letzten Urteilen wird es schwierig mit einem Gesetz das dort Bestand hat.

Übrigens, Stichwort Richter. Dazu gehören auch die Schöffen.
Und gerade die sollen einen Querschnitt der Bevölkerung abbilden.
Wäre es zulässig eine Gruppe von Bürgern von vorneherein auszuschliessen?
In dem Fall gläubige deutsche Musliminnen? Schwer vorstellbar.
Wenn Musliminnen zu Deutschland gehören dann gehören sie auch auf die Schöffenbank.

forest

Re: Richter mit Kopftuch - der altbekannte Streit um die Religionsfreiheit

#10

Beitrag von forest » Fr 1. Jul 2016, 17:11

Es ist kein 'schwerwiegender Eingriff' in die und deren Religionsfreiheit, von einer Justizangestellten bei Ausübung der Staatsmacht (Staatsmacht, very weltlich!) auf das Tragen eines Kopftuchs zu verzichten.
Wo sammer denn?
Mit der CSU - bei allen Vorbehalten - hat das garnichts zu tun. Natürlich untersteht das Justizministerium politisch dem bayrischen Justizminister, seinerzeit (2008) einer Justizministerin der CSU. Da ließe sich viel verschwurbeln, tu' ich aber nicht, hier nicht und bei Justizsachen erst recht nicht.
Haltet die Justiz sauber von jeglicher Religion! Wehret den Anfängen!

Bin beim Speichern des Beitrags grad rausgeflogen. Hat das System?

Antworten

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 8 Gäste